Tennis, Du fehlst!
April 8, 2020Du wunderschöner gelber Filz, der in viele kleine Teile zerschmettert, wenn mein Aufschlag dich mit 160 Sachen übers Netz zu meinem Gegner, der viel öfter ein Freund ist, drischt. Gespannt erwarte ich den Return, auf das er mir alsbald die Qualität meines Aufschlages verrät. Ich hechte dir hinterher, am liebsten so lange bis ich dich einmal mehr als mein Freund auf der anderen Seite zurück schlagen kann. Am liebsten noch so, dass er gar nicht mehr an Dich ran kommt.
Der nächste Punkt wartet, ich werfe Dich hoch, viel höher als ich es benötige. Der Wurfarm ist gestreckt und ich warte mit vorgespannten Schlagarm auf Deine Niederkunft. Zuvor bewundere ich Dich, wie Du fliegst. Von mir, nur leicht mit einer kleinen Bewegung, kurz vor Schulterhöhe in die Luft befördert. Ich erblicke Deinen Glanz. Ich genieße es Dich da oben zu sehen und im gleichen Moment treffe ich Dich mit voller Wucht. Ich weiß, dass Du darauf stehst wie ein Flummi zwischen den 23,77m hin und her geprügelt zu werden.
Doch diesmal kommst Du nicht zurück. Du bist ein As und es steht 30:0 für mich.
Ich habe noch einen Deiner Freunde in meiner Tasche, doch Dich will ich direkt nochmal, denn wir Tennis Junkies sind abergläubisch. Wir vertrauen nicht nur auf unsere Stärke, sondern brauchen auch das Gefühl, dass Du nur für uns spielst.
Der wichtige Punkt kommt jetzt. Ich schlage als Rechtshänder, auf die für uns bessere Seite, auf. Hier geht es selten mal mit Schnitt nach Außen, lieber volles Pfund durch die Mitte. Hier kontrolliere ich den Return und kann weiter Druck machen. Ich schau Dich an, Du kommst zurück ins T-Feld und ich bewege mich gut, tanze um Deinen Aufprall herum, nehme Dich direkt im Aufsteigen. Zeit ist das beste Timing und schlage Dich Insideout auf die Rückhand meines Gegners. Er ist eine Maschine, eine Ballwand. Er läuft jeden Ball. Wie ein kleiner Hund. Er blockt und stellt mich vor die nächst Aufgabe. Du kommst wieder kurz ins T-Feld, ich nutze die Zeit Deiner Höhe und umlaufe wieder meine Rückhand. Inside In Winner, sollst du sein, doch du landest im Netz. 30:15
Du magst es, wenn man Dir mit vollem Risiko begegnet, doch Du bist auch tückisch, denn Du bist rund, klein und eigentlich viel zu schnell.
Jetzt wird es brisant. Mit dem nächsten Punkt kann ich mir zwei Spielbälle holen oder es beginnt wieder alles von vorne. Mein Puls steigt. Der erste Aufschlag prallt an die Netzkante. Jetzt nicht überlegen. Ich brauche einen zweiten guten Aufschlag. Das ist jetzt alles was zählt. Der Topspin hilft mir Dich ins Spiel zu bringen, ohne Gefahr zu laufen ins Hintertreffen zu geraten. Der Return ist gut. Aber ich bin da und halte mich mit einer guten und langen Rückhand im Spiel. Es beginnt ein Rückhand Duell. Beide Spieler warten auf den kürzeren Ball, um Druck machen zu können. Bevor es soweit ist, kommt mein Gegner mit einem schnellen, flachen Slice ans Netz. Mein Puls steigt erneut… ich muß tief runter und spiele den einfacheren Kurz-Cross-Passierball mit vollem Zug auf den Ball, um maximalen Spin zu erzeugen. Punkt für mich.
Ein 40:15 im Rücken ist ein beruhigendes Gefühl. Ich spiele zur Überraschung, das erste Mal mit Wucht nach Außen. Der Gegner ist verblüfft und bleibt passiv beim Return. Du kommst auf meine Vorhand und ich spiele Dich mit Topspin etwas kürzer Longline, so dass Du an der Grundlinie fast zum zweiten Mal aufspringst. So muss mein Gegner nicht nur parallel zur Grundlinie laufen, sondern auch noch ins Feld diagonal. Gleichzeitig stürme ich Dir bis zur T-Linie hinterher und beobachte genau, was jetzt passiert. Ich orientiere mich an der Winkelhalbierenden und bin genau da, wo ich den Ball erwartet habe, auf meiner Rückhandseite. Ich verkürze die Distanz zum Netz, während Du noch fliegst und lass dich Volley abtropfen. 1:0 für mich.
Seitenwechsel. Wie wird dieser sein, in der Zeit nach Corona. Zwei Bänke auf zwei verschiedenen Seiten? Willkommen Social Distancing für den Rest unseres Lebens. Machen wir es wie Morrissey. Ich bereite mich auf den Return vor. Du kommst als erster Aufschlag, na bitte schön. Ich bin bereit. Jetzt nur nicht zu viel riskieren und vor allem nicht denken. Ah, zu spät. Return-Error und kein Service-Winner. Gut, wenn der Gegenüber das auch weiß und versteht, doch das tun ja die wenigsten. In diesen Tagen ist eine Statistik, das Wichtigste was wir noch haben.
15: L0VE. Ich mache mir keine Sorgen. Mein Gegner hat zwar die 15 und ich habe noch keinen Punkt, aber ich habe die Liebe. Das Love, das ansatt der Zero gesprochen wird. Eine der ganz wundervollen Geschichten rund ums Tennis, die diesen Sport so unglaublich wertvoll machen. Mit der Liebe im Rücken habe ich keinen Druck und gehe entspannt an den zweiten Punkt. Zweiter Aufschlag. Du bist raffiniert angeschnitten und kommst lang in die Mitte des Aufschlagfeldes. Ich muss mich gut bewegen, um Dich gefährlich übers Netz zu bringen. Es gelingt mir. Du bist bestimmt der Ball, mit dem ich eben ein As geschlagen habe. Das Rückhand Duell beginnt. Mein Gegner wird kürzer und ich kann Dich wieder umlaufen und gehe volles Risiko beim Inside-Out. Winner.
15 beide. Wieder kommst Du als guter erster Aufschlag in die T-Feld Mitte. Muss ich mich bewegen, um zu überleben? Ja! Auch, wenn ich mit der ursprünglichen Bedeutung von „Tenez“ aus dem französischen für „halten“ nicht konform gehe, empfiehlt es sich Ab und Zu dieses zu befolgen. Wichtig dabei ist nur, das ich Dich mit Länge zurück spiele. „Gute Länge“ kommt dann von der anderen Seite, „Danke, sagt meine Freundin auch immer!“ erwidere ich.
Es steht 15:30. Der wichtigste Punkt in dieser frühen Phase. Guter erster Aufschlag durch die Mitte. Ich kann Dich kontrollieren und bin fokussiert. Ein Return-Winner cross auf die Rückhand des Aufschlägers ist das Ziel. Der Aufschlag war aber so gut, dass mein Ball zu kurz wird.
30 beide. Ein As und ich bin chancenlos. 40:30 und mein Gegner bekommt Auftrieb. Zweiter Aufschlag. Mit Schnitt auf den Körper. Wie ich diesen Aufschlag liebe, dennoch habe ich Dich mit der Vorhand unter Kontrolle, doch kann keinen Druck aufbauen und verliere diesen Punkt. Es steht 1:1 und ich merke immer mehr, wie sehr Du mir fehlst …